Unternehmen weltweit geben Milliarden für Schulungs- und Entwicklungsprogramme aus, um ihre Mitarbeitenden mit den zukünftig geforderten Skills auszustatten. Doch die inspirierenden Schulungsinhalte können in der Praxis nicht angewendet werden. Diese Tatsache führt nicht nur zu einer schlechten Investitionsrendite, sondern auch zu unzufriedenen, zynischen Mitarbeitern auf den unteren Hierarchiestufen. Was läuft hier also schief?
Menschen eignen sich grundsätzlich gern neues Wissen und neue Fähigkeiten an. Und wenn es dabei noch hilft, die eigene Karriere zu fördern und seine persönlichen Ziele zu erreichen umso mehr. Das handlungsleitende Motiv für die Investitionen der Unternehmen sind natürlich eine effizientere Organisation generell und eine verbesserte Führungskultur.
Professor Michael Beer von der Harvard Business School hat in mehreren Studien nachgewiesen, dass das in den Schulungen vermittelte Wissen am Arbeitsplatz nicht angewendet wird. Nur jeder vierte Teilnehmer berichtet von einer Verbesserung im Alltag. Die grosse Mehrheit fällt nach den Weiterbildungsprogrammen zurück in ihre alten Verhaltensmuster. Die Ursache dafür hat einen überraschenden Grund.
Die meisten Führungskräfte sehen ihr Unternehmen als eine Ansammlung von Individuen. Deshalb gehen sie davon aus, dass Probleme in den betrieblichen Abläufen oder kontraproduktive Verhaltensweisen der Mitarbeiter ihren Ursprung in den Unzulänglichkeiten der Menschen haben. Daraus ziehen sie den falschen Schluss, dass sie die Kenntnisse, Fähigkeiten und Arbeitseinstellungen der Mitarbeitenden verbessern müssen, um die Leistung des Unternehmens zu stärken. Deshalb werden die Mitarbeitenden flächendeckend in Schulungen geschickt ohne die Arbeitsverhältnisse und Strukturen in den Organisationen anzupassen. So ist jedoch das Scheitern vorprogrammiert.
Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist die Unwilligkeit der HR-Verantwortlichen und die mittlere Führungsebene, der Chefetage die unangenehme Wahrheit mitzuteilen.
Abläufe und Organisationsstrukturen als grösste Hindernisse
Die grössten Hindernisse liegen nämlich fast immer in den von oben vorgegebenen Abläufen und Organisationsstrukturen. Aber das hören die Firmenleiter natürlich nicht gern. Da ist es viel einfacher, ein Schulungsprogramm als Lösung des Problems anzubieten.
Vor diesem Hintergrund wird auch klar, weshalb die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr neues Wissen aus den Schulungen nicht anwenden können. Die gelebte Struktur und die Anreizsysteme verhindern ein Umdenken in der Breite und das veränderte Verhalten eines Einzelnen führt kaum zum gewünschten Erfolg.
Die erfolgreichen Organisationen in den erwähnten Studien sind anders vorgegangen. Diese Unternehmen haben ihre schlecht gestalteten Abläufe und ineffizient verwalteten Systeme als Problemursache erkannt. Sie verstanden ihr Unternehmen auch als soziales System mit interagierenden Elementen, deren Rollen, Verantwortlichkeiten und Beziehungen durch die Organisationsstrukturen und die vorherrschenden Führungsstile geprägt werden.
Sie sehen das Unternehmen als primäres Ziel der Veränderung und gestalten die Organisation in einer Weise um, damit neues Verhalten gefordert und gefördert wird. Sie verändern also zuerst die Strukturen und die Arbeitsverhältnisse und entscheiden im Laufe dieses Prozesses über allfällig nötige Weiterbildungsprogramme. Dieser Ansatz greift in ein laufendes System ein und erlaubt es, den Menschen so zu lernen, dass sie sich an ein sich stetig veränderndes Umfeld anpassen können. So etwas wird ihnen in keinem Seminarraum beigebracht.
Das erfolgreiche Vorgehen kann vereinfacht in sechs Schritten zusammengefasst werden:
1. Die Führungsspitze definiert klare Werte und eine überzeugende strategische Stossrichtung.
2. Mitarbeitende und Manager geben ehrlich und anonym Auskunft zu den grössten Hürden bei der Umsetzung der Strategie und Fortbildungsmassnahmen. Dann werden die Rollen, Zuständigkeiten und Beziehungen im Unternehmen so angepasst, dass die Mitarbeitenden zu Veränderungen bereit sind.
3. Laufendes Coaching und Prozessberatung unterstützen dabei, in dieser neuen Umgebung effizient zu werden.
4. Wo immer notwendig, bietet das Unternehmen zusätzliche Schulungen an.
5. Neue Messgrössen für die individuelle und organisatorische Leistung helfen, Veränderungen sichtbar zu machen.
6. Systeme für die Auswahl, Bewertung, Entwicklung und Förderung von Talenten werden angepasst, um die Veränderungen im Unternehmen zu reflektieren und zu unterstützen.
In der Praxis greifen diese Schritte ineinander und werden bei Bedarf mehrfach wiederholt. Eine Begleitung durch externe Berater ist dabei hilfreich. Durch die Aussenperspektive wird ein Zurückfallen in alte Verhaltensmuster verhindert.
Die Follow-up-Untersuchungen haben bei den teilnehmenden Unternehmen unterschiedliche Ergebnisse gezeigt. Es gab Berichte von bis zu zehnfacher Rendite in zwei Jahren. Andere brauchten länger für weniger Fortschritte. Aber alle Veränderungen gingen in die richtige Richtung. Es gibt also keinen Grund, abzuwarten. Die Veränderung wird ohnehin kommen. Entweder wir gestalten sie aktiv mit, oder sie passiert mit uns. Wir haben die Wahl.