Können Veränderungsprozesse überhaupt erfolgreich gestaltet werden?

Nachdem in den ersten vier Folgen viele mögliche Problemzonen im Umfeld von Veränderungsprozessen aufgezeigt wurden, scheint die Frage absolut legitim. Aber sie lässt sich nicht so einfach mit ja oder nein beantworten.

Ich bin damit einverstanden, dass Veränderung ein ständiger Prozess unseres Wirtschaftslebens darstellt. Und es erscheint mir durchaus sinnvoll, wenn Unternehmen diesen Prozess aktiv zu gestalten versuchen. Dies unterstützt eine nachhaltige Geschäftspraxis. Allerdings ist es die Art und Weise der Umsetzung, die in vielen Fällen hinterfragt werden darf.

Wenn die Geschäftsleitung in ihrer jährlichen Strategiesitzung zum Beispiel über eine sich abzeichnende Veränderung im Marktumfeld diskutiert und sich daraus eine „top-down“ verordnete Umstrukturierung in der Unternehmung entwickelt, welche ohne strukturierte Kommunikation oder eine nachhaltig aufgebaute Vision durchgedrückt werden soll, ist das genau der Punkt, an welchem die Schwierigkeiten beginnen.

Oft sind die Massnahmen gut gemeint. Schliesslich soll das Unternehmen gut überleben und Arbeitsplätze sichern.

Aber ohne Rücksicht auf die Emotionen und Motivationen der Mitarbeitenden, ohne Kenntnis der dem Verhalten vorausgehenden innerpersonalen Abläufe und unter Missachtung der soziodynamischen Rangstruktur in den betroffenen Gruppen angeordnete Massnahmen können von den Mitarbeitenden nicht nachvollzogen und deshalb auch nicht verstanden werden.

Unter solchen Rahmenbedingungen ist ein Scheitern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorprogrammiert.

Der Anstoss für eine Veränderung geht häufig von einem einzelnen Individuum aus, welches mit einer aktuellen Situation oder einem praktizierten Prozess unzufrieden ist. Dieses Individuum muss aber nicht zwingend an der Spitze des Unternehmens stehen. Auch Mitarbeitende in einer ausführenden Funktion können eine Verbesserung der Arbeitsabläufe anregen. An der folgenden Umsetzung sind jedoch mehrere Mitarbeitende in einer Organisation beteiligt und oft ist am Ende die ganze Organisation betroffen. Und deshalb ist es wichtig, eine solche Veränderung gekonnt zu kommunizieren.

 

Gekonnt kommunizieren

Aber wie sieht ein optimaler Kommunikationsprozess eigentlich aus? Was sollte berücksichtigt werden?

Die zuständigen Prozessverantwortlichen könnten sich im Vorfeld des Veränderungsvorhabens die komplexen Zusammenhänge bewusst machen und erwarten, dass es viele verschiedene Reaktionen der Beteiligten geben wird. Damit legen sie ein gutes Fundament für die Erfolgswahrscheinlichkeit.

 

Unternehmenskultur beachten

Der zweite Blick sollte der vorherrschenden Unternehmenskultur gewidmet werden:

  • Kann jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin angstfrei seine Meinung äussern?
  • Werden Informationen innerhalb der Organisation, auch bereichsübergreifend, weiter gegeben?
  • Wie verläuft der Entscheidungsprozess?
  • Werden Argumente ausgetauscht und Lösungsmöglichkeiten konstruktiv diskutiert oder wird patriarchalisch von oben herab entschieden?

Um die eigene selektive Wahrnehmung zu minimieren, könnte auf eine externe Fachunterstützung zurückgegriffen werden. Hier kann auch ein (Wirtschafts-)Psychologe gute Dienste leisten, um die aktuellen Gruppendynamiken aufzuzeigen.

 

Change-Agents bestimmen

Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Identifikation von sogenannten „Change-Agents“. Sie können das Vorhaben in ihrer jeweiligen Gruppe, welche im vorhergehenden Schritt identifiziert wurden, unterstützen und voranbringen. Im Idealfall können dazu die Menschen in Alpha-Positionen gewonnen werden, alternativ können auch Mitarbeitende in Beta-Positionen gute Dienste leisten (siehe dazu Teil 4).

Mittels gezielter Einzelgespräche können die individuellen Motive und die Motivation zur Mitgestaltung des Veränderungsprozesses bei möglichen Unterstützern erfragt werden. Ein möglichst grosses Commitment dieser Unterstützer erleichtert den ganzen Prozess ungemein und erhöht die Erfolgschancen drastisch.

Die Kommunikation im Vorfeld der Veränderung ist ein sehr wichtiger Teil des Erfolges. Es muss allen Beteiligten klar sein, was das Ziel des Projektes ist und warum es wichtig für das Unternehmen und jeden Einzelnen ist. Auch während der Umsetzung müssen die Mitarbeitenden weiter regelmässig informiert werden.

 

Laufend reflektieren

Die Verantwortlichen dürfen den Projektfortschritt und ihre eigene Rolle dabei laufend reflektieren und die Situation genau beobachten. Die Mitarbeitenden brauchen die Wertschätzung und Toleranz ihrer Vorgesetzten. Wenn sie keine Angst vor Fehlern haben müssen und der anfängliche Mehraufwand explizit angesprochen und von oben befürwortet wird, werden sie die neuen Arbeitsprozesse auch anwenden.

 

„Turnaround“-Situationen

In der Praxis fällt auf, dass in sogenannten „Turnaround“-Situationen viel weniger Widerstand auftritt und die Projekte erfolgreicher umgesetzt werden. Dies könnte daran liegen, dass sich das Unternehmen in einer absoluten Notlage befindet und alle Beteiligten den gleichen Informationsstand haben. Es gibt keine Alternative zum eingeschlagenen Weg und wer die Veränderung nicht mittragen will, hat das Unternehmen meistens bereits verlassen.

 

Zusammenfassend, aber nicht abschliessend, konnten folgende Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren aus der Change-Management Forschung identifiziert werden:

 

Erfolgsfaktoren:

  • Eine klare Vision
  • Konkrete Zielvorgaben
  • Partizipation und Kommunikation
  • Ein integrativer Ansatz
  • Einleitung eines Kulturwandels
  • Top-Management Commitment

Misserfolgsfaktoren:

  • Eine unscharfe Vision
  • Fehlendes Problemverständnis
  • Unzureichende Kommunikation
  • Teiloptimierungsversuche
  • Fehlender Mut
  • Zu kurzer Zeithorizont

Kommen Ihnen diese Punkte bekannt vor? Ich erkenne viele davon in vergangenen Projekten. Sowohl die positiven, als auch die negativen.

Zum Schluss noch einige Punkte, die es vor dem nächsten Projekt zu beachten gilt:

  • Verändern Sie nicht zu viel auf einmal.
  • Achten Sie auf eine gute Mischung aus kurz- und langfristigen Zielen, um die Motivation hoch zu halten.
  • Veränderung betrifft alle in einer Organisation. Auch die oberste Führungsebene muss bereit sein, sich zu verändern.
  • Veränderungen brauchen meistens mehr Zeit als ursprünglich gedacht.
  • Die Anreizsituationen der Beteiligten verändern sich bereits während des Projekts. Deshalb kann es zu Anpassungen des Settings im Projektverlauf kommen.
  • Wir können Menschen nicht verändern. Was wir ändern können, sind die Situationsfaktoren, die Entwicklungsfaktoren und die interpersonellen Bezüge.
  • Wie wichtig ist die Veränderung resp. das Projekt? Wie konsequent soll die Umsetzung vorangetrieben werden? Wie reagieren wir, wenn sich der Topverkäufer als veränderungsunwillig erweist?

Viel Erfolg bei Ihren nächsten Veränderungsprojekten und bleiben Sie flexibel.

 

„Der beste Weg die Zukunft vorherzusagen ist, sie selber zu gestalten.“

(Peter F. Drucker, 1909 – 2005)