Das Jahr neigt sich dem Ende zu und schon stehen die alljährlichen Mitarbeitergespräche wieder vor der Tür. In meiner Hängemappe „Mitarbeitergespräche“ finde ich das Memo der Geschäftsleitung zuhanden der Bereichs- und Abteilungsleiter Anfang Jahr: „Mitarbeitergespräche sind laufend über das Jahr zu verteilen“. Damit wollte die Geschäftsleitung das mittlerweile allgemein gültige HR-Wissen mustergültig umsetzen.

Mir war sofort klar, dass die unpräzise Formulierung kaum dazu beitragen würde, von jetzt auf gleich mit allen Mitarbeitenden an verschiedenen Daten übers Jahr verteilt zu sprechen.

Wozu Mitarbeitergespräche?

Wer sich ein wenig mit Kommunikation und Mitarbeiterführung auseinander setzt, weiss, dass spätestens die Generationen Y und Z viel häufiger auf Feedback angewiesen sind. Und ich glaube, dass sich auch die Mitarbeitenden der Generationen Babyboomer und X über ein unterjähriges Feedback freuen würden. Dies bestätigt auch die aktuelle Forschung, welche jährlich generationenunabhängig vier bis sechs Mitarbeitergespräche empfiehlt. Nicht alle verlangen eine umfassende Vorbereitung. Es wird zwischen kleinen, informellen Gesprächen und grossen, formellen Gesprächen unterschieden.

Kleine Mitarbeitergespräche

Die sogenannten kleinen resp. informellen Mitarbeitergespräche finden meistens spontan am Arbeitsplatz der Mitarbeitenden statt und sind kurz. Es werden vorwiegend Routineangelegenheiten besprochen. Dabei können Kontrollergebnisse mitgeteilt werden, die Steuerung des Betriebsablaufs besprochen oder ganz einfach die Beziehung gepflegt werden.

Walking-around

Die kleinen Mitarbeitergespräche werden oft mit dem Führungsinstrument des „Walking-around“ verbunden. Dabei besucht die Führungskraft die Arbeitsplätze der Mitarbeitenden und erhält so Informationen direkt vor Ort aus erster Hand. Die Mitarbeitenden erleben diesen Führungsstil als Aufwertung durch die unmittelbare Wahrnehmung ihrer Arbeit. Dies erleichtert eine offene Kommunikation und verbessert das Betriebsklima.

Die Führungskraft muss zusätzlich auch das grosse Ganze im Blick behalten:

  • Die Motivation des einzelnen Mitarbeitenden,
  • die Qualität der geleisteten Arbeit und
  • die emotionale Bindung zur Organisation.

Diesen Überblick zu behalten, ist nicht immer ganz einfach, allerdings essentiell, wenn es um die formalen resp. grossen Mitarbeitergespräche geht.

Grosse Mitarbeitergespräche

Die grossen oder formal organisierten Mitarbeitergespräche werden vorgängig mit den Mitarbeitenden terminiert und finden in einer ungestörten Umgebung, meistens in einem Sitzungszimmer, statt. Die zeitliche Reservation des Besprechungsraumes sollte dem Gesprächsthema angemessen und keinesfalls zu knapp sein. Für die Gesprächsteilnehmenden beginnt die Arbeit jedoch schon vor dem eigentlichen Termin. Denn sie sollten sich gut vorbereiten und die individuellen Ziele und Wünsche beidseitig festhalten.

Ein Jahresgespräch sollte sich durch folgende Phasen auszeichnen:

  1. Phase: Gesprächseröffnung
  2. Phase: Ziele vereinbaren
  3. Phase: Beurteilung besprechen
  4. Phase: Fördermassnahmen erörtern
  5. Phase: Gesprächsrückblick
  6. Phase: Gespräch beenden

Wie viele der diesjährigen Mitarbeitergespräche wohl in diesem idealtypischen Rahmen abgelaufen sind oder noch ablaufen werden? Auch wenn wir berücksichtigen, dass wir schlechten Nachrichten mehr Gewicht geben als guten Beispielen, zeigt die Praxis doch mehrheitlich ein ernüchterndes Bild:

  • Die Gespräche werden von Führungskräften oft nicht oder nur schlecht vorbereitet.
  • Die Vorgesetzten erscheinen ohne Notizen zum Gespräch und übernehmen die Eigendeklaration der Mitarbeitenden ins Dossier.
  • Die Gespräche werden kurzfristig verschoben oder abgesagt.
  • Wenn sie dann stattfinden, dauern sie zwischen fünf und fünfzehn Minuten und der Gesprächsanteil des Mitarbeiters bewegt sich in homöopathischen Dosen. (Der Idealfall geht von mindestens 50% der Sprechzeit aus.)

Führungskräfte sollten nicht glauben, dass die Mitarbeitenden die fehlende Vorbereitung und die mangelnde Empathie hinter einem solchen Verhalten nicht bemerken. Denken solche Führungskräfte tatsächlich, dass ihre Mitarbeitenden trotzdem weiterhin mit vollem Engagement zu Werke gehen? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese Nachlässigkeit keine Konsequenzen in Bezug auf die Mitarbeitermotivation hat.

In das gleiche Bild passt die Tatsache, dass ein sogenanntes 360°-Feedback, wenn also die Führungskraft eine Bewertung ihrer Performance durch die ihr direkt unterstellten Mitarbeitenden erhält, immer noch die Ausnahme ist.

Was sagt dies über die Unternehmenskultur und das Menschenbild der Führungsriege aus, wenn aktiv und bewusst auf ein solches Kommunikationsinstrument verzichtet wird?

Schon jetzt ist uns allen klar, dass das Jahr 2020 nicht als Massstab für den Regelfall gelten kann. Aber dieses Phänomen ist auch schon viel länger zu beobachten. Und ich denke, wir dürfen die zwischenzeitliche, räumliche Distanz zwischen den Führungskräften und ihren Teams nicht als Ausrede gelten lassen. Im Gegenteil, die Anstrengungen, konstruktives, wohlwollendes Feedback zu geben und sich um seine Mitarbeitenden zu kümmern, sollte unter diesen Umständen sogar noch stärker ausfallen.

Tipp für Führungskräfte

Als Führungskraft möchte ich Ihnen den Ansatz des holländischen Fussballtrainers Peter Bosz mit auf den Weg geben. Er bewertet alle seine Spieler nach jedem Training und nach jedem Spiel nach dem Schulnotensystem. Damit, sagt er selber, verhindert er eine Überbewertung des letzten Eindrucks vor einer wichtigen Entscheidung und er kann die Entwicklung eines Spielers am Ende der Saison viel besser beurteilen. Wenn Sie nun für die direkt unterstellten Mitarbeitenden eine wöchentliche Beurteilung in Form einer Schulnote notieren, verbessert das Ihre Wahrnehmung über das ganze Jahr erheblich und es reduziert Ihren Aufwand für wichtige Mitarbeitergespräche immens.

Tipp für Mitarbeitende

Als Mitarbeitende müssen Sie sich fragen, wie wichtig Ihnen gutes, konstruktives Feedback wirklich ist. Werden die Häufigkeit, die Dauer und die Struktur der Gespräche Ihrer Verantwortung und Ihrer Funktion gerecht? Werden Sie als Person wahrgenommen oder nur als störungsanfällige Aufgabenerledigungsmaschine? Wird sich die momentane Situation in absehbarer Zeit verbessern oder sollten Sie selber eine Verbesserung in Form einer Neuorientierung herbeiführen?

Lese Empfehlung

„Führen durch Kommunikation“ (Mitarbeitergespräche strukturiert, zukunftsorientiert und motivierend), Siegmar Saul, Beltz Verlag 2012. ISBN 978-3-407-36503-3

„Miteinander reden“ (Kommunikationspsychologie für Führungskräfte), Friedemann Schulz von Thun et al., Rowohlt Taschenbuch Verlag 2013. ISBN 978-3-499-61531-3

 

Bleiben Sie an Ihren Mitmenschen interessiert und haben Sie eine schöne Adventszeit!