Wird in Ihrem Unternehmen auch schon „neu gearbeitet“?
Vertrauenskultur, Sinnhaftigkeit, Eigenverantwortung und wegfallende Hierarchien versprechen bessere Ergebnisse und zufriedenere Mitarbeiter. Doch die Realität zeigt ein ganz anderes Bild …
Vorsicht ist schon bei der Definition des Begriffs „New Work“ geboten. Im deutschsprachigen Raum gelten bereits gleitende Arbeitszeiten, offene Bürokonzepte, flache Hierarchien und die Hardwareausgabe für mobiles Arbeiten als Teil des New Works. Eigentlich erstaunlich, denn diese Konzepte und Strukturen sind schon längst im Mainstream angekommen und gehören für die meisten von uns schon lange zum Arbeitsalltag.
Etwas anders sieht es bei Ansätzen wie Holokratie (keine Hierarchien in der Organisation), vom Team selbst gewählten Führungskräften oder demokratischen Organisationsverfassungen aus. Diese Formen sind oft nur in Start-up-Unternehmen zu beobachten. In Organisationen, die sich in anderen Lebenszyklen befinden, sind sie weit weniger verbreitet. Trotzdem erfreuen sich die erwähnten Ansätze einer zunehmenden, aber leider unreflektierten Fangemeinde.
An Vorträgen und in den Medien werden immer wieder die gleichen Firmen als die grossen Vorbilder präsentiert: Zappos (Onlineversand von Schuhen), Haufe-Umantis (Softwareentwicklung) oder Sipgate (Internettelefonie). Die Tatsache, dass diese „Vorzeigeunternehmen“ alle in der IT-Branche angesiedelt sind, scheint kein Zufall zu sein. Wahlweise wird der agile Führungsstil, die fluide Teamstruktur oder die fehlende Hierarchie als Erfolgsgaranten für glückliche, erfolgreiche Mitarbeitende gezeigt. Abschreckende Gegenbeispiele sind dann gerne Nokia, Quelle oder Kodak, die es gemäss den Keynote Speakern nicht geschafft haben, den Zeitgeist zu erkennen und sich anzupassen. Was an diesen Präsentationen immer wieder fehlt, sind betriebswirtschaftliche Kennzahlen und Aussagen zum Beispiel zur Mitarbeiterfluktuation oder den Krankheitstagen. Denn, bevor wir jetzt alle losrennen und in unseren Unternehmen das New-Work-Fieber ausbricht, sollten wir uns ein paar grundlegende Gedanken machen.
Die Sache ist komplexer als gedacht. Mit den Strukturen allein ist es nicht getan. Es braucht grundsätzlich ein anderes Verständnis von Führung, und nicht in jeder Branche resp. jeder Unternehmung lassen sich die in der Softwareentwicklung offenbar so erfolgreichen Entwicklungssprints mit immer wechselnden Teamzusammensetzungen wiederholen.
Die Hays-Studie zur „Wissensarbeit im digitalen Wandel“ hat gezeigt, dass sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte mit den agilen Ansätzen oft überfordert sind und sich in vielen Organisationen keine Vertrauenskultur implementieren lässt. So werden im Zuge der Digitalisierung zwar Produktivitätszuwächse verzeichnet, aber diese gehen zu Lasten von erhöhtem Leistungsdruck und gesteigerter Arbeitsbelastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Es sind zwei Reaktionen auf die neuen Möglichkeiten in der Arbeitsgestaltung zu beobachten. Und beiden liegt die X-Y-Theorie des amerikanischen Management Professors Douglas McGregor (1906 – 1954) zugrunde.
Wenn Unternehmen den Menschen in den Mittelpunkt stellen, seinen Fähigkeiten vertrauen und somit auch seiner intrinsischer Motivation zur Arbeit (Y-Theorie), werden sie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr Verantwortung übertragen. In einem solchen Umfeld fühlen sich die Mitarbeitenden wertgeschätzt und reagieren mit gesteigertem Engagement und höherer Motivation. Diese Organisationen verbessern ihre Effektivität und machen überproportionale Fortschritte.
Demgegenüber stehen Unternehmen, die in der Effizienz-Falle stecken. Sie verstehen den digitalen Wandel als rein technologischen Fortschritt und reagieren mit Kontrolle. Da sie von einer dem Menschen eigenen Abneigung zur Arbeit (X-Theorie) ausgehen, liegt der Fokus ausschliesslich auf den Arbeitsprozessen und den ökonomischen Ergebnissen. Diese Denkhaltung führt unweigerlich in den digitalen Taylorismus (Frederick Taylor, 1856 – 1915; Begründer des sogenannten Taylorismus, d.h. genaue Zeitvorgaben zum „einzig richtigen“ Erledigen von spezifischen Arbeitsschritten).
Ein Beispiel: Den Mitarbeitenden wird zwar ermöglicht, ihren Arbeitsort frei zu wählen, gleichzeitig wird aber ein Kontrollapparat aufgebaut, die Arbeitszeit am Bildschirm minutengenau zu überwachen. Dies wirft einerseits arbeitsrechtliche Bedenken auf, aber auch die Frage nach den eigentlichen Tätigkeitsschritten der entsprechenden Arbeit. Zählt wirklich nur die Präsenzzeit vor dem Bildschirm als Arbeit? Das kann bei Berufen, welche ganz oder teilweise abseits eines Bildschirmes ausgeführt werden, zu ungewollten Problemen führen.
Es erstaunt also nicht, wenn sich viele Mitarbeitende angesichts der immer umfassenderen Kontrollmassnahmen in ihrem Arbeitsumfeld in die dunkle Vergangenheit zurückversetzt fühlen. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die überdurchschnittliche Mitarbeiterfluktuation und die hohen Krankenstände in vielen der hippen New-Work-Unternehmen erklären. Es sind einfach nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Lage, im hierarchiefreien Raum Eigenverantwortung zu übernehmen. Und nicht alle Führungskräfte sind Willens, ihre Macht zu teilen.
Bevor man sich in das New-Work-Abenteuer stürzt, sollte man sich Klarheit über ein paar grundsätzliche Rahmenbedingungen verschaffen. Auch hier kann eine unterstützende Perspektive einer aussenstehenden Person nicht schaden.
Als Firmeninhaber sollte ich mir über folgendes klar werden:
- Wo steht unser Unternehmen heute, und wo wollen wir hin?
- Sind unsere Probleme dergestalt, dass sich agile Methoden überhaupt aufdrängen?
- Lässt unsere Firmenkultur einen solchen Wandel überhaupt zu?
- Sind meine Führungskräfte in der Lage, ihren Führungsstil an die neuen Anforderungen anzupassen?
- Wie viele Mitarbeitende werden wir ersetzen müssen, weil sie die Veränderung nicht mitmachen wollen/können?
- Welcher Zeithorizont ist realistisch für einen solchen Wandel? Falls er aufgrund der vorhergehenden Fragen überhaupt nötig erscheint.
In der Rolle als (zukünftiger) Mitarbeiter sollte ich mir ehrliche Rechenschaft darüber ablegen, ob es mir entspricht, mir meine Arbeit selber zu suchen und einzuteilen. Es kann auch Vorteile haben, wenn in der Stellenbeschreibung klar definiert ist, was von mir erwartet wird.
Und sowieso: