Lesen und Schreiben sind wichtige Kompetenzen unseres Lebens. Wir lernen diese Fähigkeiten bereits in den ersten Schuljahren und gehen automatisch davon aus, dass alle anderen in unserer Arbeitswelt diese Kompetenzen auch haben. Aber ist das wirklich so?
Über das Lesen
Die Erfindung des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts kennzeichnete eine der grössten gesellschaftlichen Umwälzungen in unserer Geschichte. Sie bedeutete den Zugang zu Bildung und Wissen für eine breite Masse der Bevölkerung. Und somit sinnbildlich, gesellschaftlicher Aufstieg und Wohlstand für die meisten von uns.
Inzwischen ist die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne einer Person jedoch deutlich unter zehn Sekunden gesunken, und es lesen immer mehr Menschen seltener als einmal pro Monat ein Buch (IfD Allensbach, Statista 2020).
Die Lesekompetenzstufen in PISA-Studien
In den Untersuchungen für die PISA-Studie werden verschiedene Stufen der Lesekompetenz unterschieden: Ein Schüler mit der Kompetenzstufe I kann einfache Texte oberflächlich verstehen. Mit der Stufe II geht das Herstellen einfacher Verknüpfungen einher und ab der dritten Stufe können eigene Schlussfolgerungen gezogen werden. Dass die wenigsten Teilnehmer der Studie die Kompetenzstufe IV, detailliertes Verständnis komplexer Texte, und V erreichen, welche eine flexible Nutzung längerer unvertrauter, komplexer Texte erfordert, war zu erwarten.
Allerdings erreichten auch in einer Untersuchung des schweizerischen Bundesamtes für Statistik aus dem Jahre 2003 800‘000 Erwachsene im erwerbsfähigen Alter von 16 bis 65 Jahren nur Niveau 1. Ich gehe davon aus, dass sich dies inzwischen noch verschlechtert hat. Diese Leute haben also grosse Mühe, einen geschriebenen Text zu verstehen, insbesondere wenn die darin enthaltenen Informationen ihren Erwartungen widersprechen und deshalb nur durch eigene Denkleistung zu erkennen sind. Der Fachbegriff dafür lautet Illettrismus. Der Schweizer Dachverband (www.lesen-schreiben-schweiz.ch) engagiert sich dafür, Erwachsenen Zugang zu diesen Grundkompetenzen zu ermöglichen.
Über das Schreiben
Auf der Seite der Absender, also dem Verfasser eines Textes, den wir lesen wollen/müssen, sieht die Situation nicht besser aus. Auch hier scheint die Oberflächlichkeit oberstes Gebot. Und unter dem falsch verstandenen Motto „In der Kürze liegt die Würze“ werden Informationen vorzugsweise per Bilddatei oder Symbolen mitgeteilt. Ob das Wissen um die Tatsache, dass heute mehr geschaut als gelesen wird, ein höheres Engagement des jeweiligen Autors verhindert, ist schwer zu beurteilen. Unbestritten hält ein Zerfall der Sitten Einzug im Schriftverkehr. Dies mag dem hohen Takt des Informationsflusses geschuldet sein. Es entbindet den Urheber aber keineswegs von der Verantwortung für den angerichteten Schaden. Das Vermitteln von Informationen in schriftlicher Form ist gegenüber dem gesprochenen Wort sehr viel anspruchsvoller. Durch den Wegfall sämtlicher nonverbaler und paraverbaler Attribute, muss sich der Absender sehr viel mehr Gedanken zu Form und Wirkung seiner Nachricht machen. Während wir bei einem Gespräch von vier Ebenen einer Nachricht (Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Appel und Beziehung) ausgehen können, bleibt bei einem Schriftstück eigentlich nur der Sachinhalt zur Vermittlung des eigenen Anliegens. Erschwerend kommt hinzu, dass das Schreiben auf einer Computertastatur oder einem Smartphone andere Hirnregionen aktiviert als das konventionelle Schreiben mit einem Stift auf einem Blatt Papier. Das schnelle Abarbeiten von Antworten auf erhaltene E-Mail-Nachrichten oder die unüberlegte, fahrig verfasste Nachricht an die Mitarbeitenden kann bei diesen ungeahnte Reaktionen auslösen.
Nun können wir ja nicht einfach aufhören zu kommunizieren. Deshalb sollten wir uns überlegen, was wir selbst zur Verbesserung der Situation beitragen können.
Tipps zum besseren Lesen
- Ich reserviere mir „Lesezeit“ in meinem Terminkalender.
- Als einfachen ersten Schritt kann ich mehr Verständnis für die schlecht und unvollständig geschriebenen E-Mails meines Vorgesetzten oder meiner Kunden aufbringen. Rein statistisch gesehen ist es nicht unwahrscheinlich, dass einige unserer Kollegen auf einer tiefen Lesekompetenzstufe agieren.
- Ich kann öfter längere Texte lesen. Das muss ja nicht gleich „Krieg und Frieden“ von L. Tolstoi sein, aber beginnend mit einem Fachartikel aus einem Themengebiet, welches mich interessiert. Dann kann ich mich steigern zu einem Buch aus einer ähnlichen Disziplin oder, ganz verwegen, mich in ein vollständig neues Thema einarbeiten. Dazu kann ich in eine grössere Bibliothek gehen und einen kostenlosen, einstündigen Recherchekurs buchen. Dabei entdecke ich auch ein völlig neues Internet, welches dank den (leider momentan nur In-House zugänglichen) Meta-Datenbanken viel mehr Informationen bereithält, als ich das von meinem privaten Account gewohnt bin.
Tipps zum besseren Schreiben
- Ich schaffe mir bewusst gewählte „Schreibzeiten“ in meinem Terminkalender.
- Ich lese eingehende Nachrichten in Ruhe und vollständig durch. Ich widerstehe dem Reflex, sofort zu antworten und mache mir stattdessen einige Handnotizen zu möglichen Argumenten. Falls es sich nicht um einen Notfall handelt – dann wäre wohl eher ein Anruf angezeigt – antworte ich am nächsten Tag.
- Ebenfalls kann ich versuchen, meine eigenen Nachrichten so einfach wie möglich abzufassen. Natürlich nur, was die Struktur und Anzahl der Themen betrifft. Ein orthografisch korrekt abgefasster Text zeugt einfach auch von Respekt gegenüber des Empfängers.
- Hier zeigt sich dann auch, je mehr ich gelesen habe, umso grösser wird mein aktiver Wortschatz und umso besser werden meine geschriebenen Texte. So fällt es auch immer leichter, sich schriftlich auszudrücken.