Wir alle kennen die heutigen Verhandlungstaktiken in offenen Verträgen nur zu gut. Beide Parteien steigen mit möglichst extremen Forderungen in die Gespräche ein, um sich anschliessend in unzähligen Sitzungen mit kleinen Zugeständnissen aufeinander zu zubewegen. Bestenfalls einigen sie sich auf ein Ergebnis, das sich normalerweise ungefähr in der Mitte zwischen den Anfangspositionen befindet. Schlimmstenfalls findet diese Taktik vor Gericht seinen Abschluss. Nicht gerade eine effiziente Sache.

Auch konventionelle, aussergerichtliche Schlichtungsverfahren laufen erfahrungsgemäss nach diesem unbefriedigenden Muster ab.

Dieses Vorgehen, auch wenn es vermeintlich unserer Kompromisskultur entspricht, ist sehr ineffizient und beansprucht viel Zeit und noch mehr Geld für die Lösungsfindung. Ausserdem sind die Beteiligten nach einem solchen Verhandlungsmarathon oftmals mit dem Ergebnis unzufrieden und gehen mit schlechten Erinnerungen an den ganzen Prozess auseinander.

Pendelschlichtung als Lösung

Ich möchte an dieser Stelle auf eine mögliche Alternative hinweisen: Die sogenannte Pendelschlichtung. Ihren Ursprung hat die Pendelschlichtung in den 1960er Jahren. Zur effizienten Lösung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern arbeitete der Wissenschaftler Carl Stevens diesen Lösungsvorschlag aus. Das Verfahren befähigt die Parteien, ihre Differenzen schnell beizulegen.

Beide Parteien haben die Möglichkeit eine Pendelschlichtung durch einen neutralen Schlichter aufzurufen. In diesem Verfahren wird Realitätsnähe belohnt statt bestraft. Dazu legen die Parteien ihre endgültigen Angebote, unter Umgehung der üblichen Verhandlungsetappen, vor, und der neutrale Schlichter muss sich für eines davon entscheiden. Damit fällt zwar die Kompromisslösung weg, doch das Verfahren führt dazu, dass die eingereichten Lösungsangebote viel näher bei der tatsächlichen, realistischen Streitsumme liegen. Es zeigt sich auch, dass sich die Parteien oft schon vor dem eigentlichen Urteil des Schlichters auf eine Lösung einigen können.

 

Einschränkung bei der Pendelschlichtung

Die einzige Einschränkung bei diesem Verfahren besteht darin, dass beide Parteien an die Lösungsfindung gebunden sind. Bei einer normalen Käufer-Verkäufer-Beziehung, bei der sich der Käufer bei Unstimmigkeiten über den Verkaufspreis aus den Verhandlungen zurückziehen kann, ist auf dieses Verfahren nicht anwendbar. Sind jedoch beide Seiten auf eine Lösungsfindung angewiesen, hat sich die Pendelschlichtung sehr bewährt. So wendet der amerikanische Versicherer AIG diesen Ansatz seit mehreren Jahren in der Schadenregulierung erfolgreich an.

 

Herausforderungen bei der Einführung der Pendelschlichtungkultur

Die grösste Herausforderung bei der Einführung dieser neuen Verhandlungsmethode war nach Aussage des damaligen CEO Peter Hancock, die Schadensachverständigen davon zu überzeugen, dass sie ihre gewohnten Verhandlungstaktiken aufgeben sollen. Auch die Fähigkeiten, eine möglichst realistische Bewertung und Zusammenstellung der Kosten für die jeweiligen Sachverhalte zu erkennen, musste von Grund auf neu geschult werden. Doch durch das konsequente Umsetzen des neuen Ansatzes konnte AIG nicht nur die Kosten senken und die Verfahren viel schneller und effizienter abwickeln, sondern sie sicherten sich auch eine fundierte Reputation als fairer Verhandlungspartner.

Wer diesen Verhandlungsansatz für sein Unternehmen in Betracht ziehen will, sollte mit einem Pilotprojekt starten, dessen realistische Lösung aufgrund früherer Erfahrungen zuverlässig ermittelt werden kann. Ausserdem sollte das realistische Eröffnungsangebot unterbreitet werden, bevor ein unrealistisches Gegenangebot auf den Tisch kommt. Das widerspricht zwar der gängigen Verhandlungslogik, aber Sie signalisieren damit Ihre Fairness und nutzen den Ankereffekt, der die Gegenpartei von Anfang an in die Richtung einer vernünftigen Lösung lenkt.

Trotzdem muss man sich über einige Risiken im Klaren sein. Die Bewertung von „fair“ und „realistisch“ unterliegt immer einer gewissen Spannweite. Wenn beide Seiten mit ihren Angeboten bereits sehr weit auseinander liegen, wird es problematisch, eine Lösung zu finden. Zumal es in Europa kritisch sein dürfte, einen von beiden Verhandlungsparteien anerkannten Schlichter zu finden. In den USA gibt es dafür die Einrichtung der American Arbitration Association.

Natürlich kann man am Ende einer Pendelschlichtung als Verlierer dastehen. Das muss allerdings nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen sein. Wenn ein Unternehmen immer als Sieger aus den Schlichtungen hervorgeht, kann das auch ein Zeichen für zu grosszügige Angebote sein. Und wenn die Differenz zwischen den beiden Vorschlägen zur Pendelschlichtung nicht sehr gross ist, lässt sich die „Niederlage“ leichter verkraften. Immerhin hat sich der zeitliche Aufwand für die Beilegung im Verhältnis zu konventionellen Vorgehen reduziert. Wichtig ist auf jeden Fall, dass Sie Ihren Verhandlungsführer in einem solchen Fall nicht bestrafen, sondern dazu anhalten, auf dem eingeschlagenen Weg weiter zu arbeiten.

Der Reputationsgewinn und die gesteigerte Kundenzufriedenheit werden neben den offensichtlichen betriebswirtschaftlichen Vorteilen als wichtigste Gründe für diesen Verhandlungsansatz genannt. Und die Ergebnisse zeigen auch, was möglich ist, wenn die oberste Führungsriege eines Unternehmens Fairness zum handlungsleitenden Wert erklärt.

Was halten Sie von einer Pendelschlichtung?