Nachdem wir im ersten Teil die Emotionen als wichtige Grundlage der Motivation und im zweiten Teil die Entstehung der Motivation aus den personenseitigen Motiven und den situativen Anreizen kennengelernt haben, möchte ich nun in diesem dritten Teil die Entstehung des Verhaltens als Folge daraus behandeln.

Das eigentliche Verhalten unserer Mitmenschen, also zum Beispiel die ausgeführte Arbeit oder auch das Nichtbefolgen von Anweisungen, ist schlussendlich der einzig beobachtbare Teil eines vorgängig abgelaufenen komplexen Vorganges.

Wenn wir uns die Vielzahl der möglichen Emotionen und die teilweise nur unbewussten impliziten Motive in Erinnerung rufen, wird schnell klar, dass es im Zusammenspiel mit den situativen Anreizen sehr komplex wird, um ein mögliches Verhalten in einem Veränderungsprozess vorherzusehen oder anzustossen.

Die untenstehende Abbildung versucht, diesen Vorgang darzustellen. Es muss aber festgehalten werden, dass ein simpler Pfeil von der Wahrnehmung einer Person über deren innere Prozesse zu ihrem Verhalten in keiner Weise so einfach ist, wie es die Pfeile suggerieren könnten.

 

Abbildung: Wie Verhalten entsteht (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Nolting & Paulus, 2018, S. 36 & 43)

Das Verhalten einer Person wird demnach durch vier verschiedene plus einen zusätzlichen Grundaspekt geprägt (Nolting & Paulus, 2016):

  1. Aktuelle innere Prozesse
  2. Faktoren der Person
  3. Entwicklungsfaktoren der Person
  4. Faktoren der Situation
  5. (4 + 1) Faktoren zwischen teilnehmenden Personen an der Situation

Aktuelle innere Prozesse

Den direktesten Einfluss auf das Verhalten einer Person nehmen ihre aktuellen inneren Prozesse, die aus Wahrnehmung, erfassendem Denken, Emotion, Motivation und planendem Denken schliesslich zum Verhalten führen.

 

Personenfaktoren und deren Entwicklungsfaktoren

Diese inneren Prozesse werden durch die drei vorgelagerten Aspekte der Personenfaktoren, nämlich der Grundeinstellungen, Fähigkeiten und des Temperaments geprägt und durch die Entwicklungsfaktoren, wie Reifegrad, Lernfähigkeit und soziales Umfeld ergänzt. Diese Faktoren sind verhältnismässig stabil und entwickeln sich eher langsam.

Faktoren der Situation

Im Gegensatz zu den Personen- und Entwicklungsfaktoren können sich die Situationsfaktoren sehr kurzfristig verändern und somit die Wahrnehmung (und damit auch das Verhalten) stark verändern. Situationsfaktoren sind zum Beispiel Anlässe, Anreize, Ort, andere Personen usw.

Faktoren zwischen teilnehmenden Personen

Ein zusätzlicher Aspekt, den wir bisher nicht berücksichtigt haben, kommt in dieser Darstellung allerdings noch dazu: Falls nämlich noch weitere Personen am Situationskontext beteiligt sind, wirken auch noch interpersonale Bezüge, also soziale Interaktion, Kommunikation und soziale Beziehungen in die Wahrnehmung hinein.

Und dieser Faktor sollte nicht unterschätzt werden. Schon Kurt Lewin (1890 – 1947), der Vorreiter des Change-Managements, hat in seinen Arbeiten erkannt, dass die vorherrschenden Gruppenstandards ein wichtiger Erfolgsfaktor für das Gelingen von Veränderungsprozessen sind. Er hielt ausdrücklich fest, dass sich ein Individuum zunehmend stärker gegen Veränderungen wehrt, je weiter es sich vom geltenden Standard der Gruppe, und somit der Komfortzone, wegbewegen muss (Lewin, 1963).

 

Selbstverständlich sind noch weitere Faktoren und Prozesse am Verhalten beteiligt, als in diesem Artikel dargestellt werden kann. Möglicherweise müssen wir uns deshalb von der Vorstellung des rational handelnden Individuums verabschieden.

Aber diese grundsätzliche Übersicht macht eines sehr deutlich: Der ganze Sachverhalt ist weit komplexer als es vielen Führungskräften bewusst ist.

Es scheint auch immer klarer zu werden, dass es für Führungskräfte aufgrund der Vielzahl der zu berücksichtigen Faktoren praktisch unmöglich ist, ohne externe Fachunterstützung einen Veränderungsprozess umfassend zu planen, die Veränderung anzustossen und den gewünschten neuen Zustand oder Prozess langfristig in der Unternehmung zu verankern, weil die unvoreingenommene Sicht von aussen fehlt. 

Ausserdem erschwert die momentane Corona-Situation die direkten sozialen Kontakte zum Teil erheblich und eine sogenannte Führung auf Distanz ist an der Tagesordnung. Wie sollen in solchen Situationen die Gruppenstandards und die Hierarchie innerhalb eines Teams erfahren werden, wenn wir dank Kurt Lewin wissen, dass es gerade diesen Aspekt für eine erfolgreiche Umsetzung braucht?

Diesem Thema wollen wir uns das nächste Mal genauer widmen.

 

Bis dahin wollen Sie vielleicht Ihr Erleben und Verhalten im beruflichen Kontext reflektieren:

  • Welche Gruppenstandards herrschen in Ihrem Team?
  • Welche Rolle nehmen Sie dabei ein?
  • Stimmen die Werte im Team mit den Unternehmenswerten überein?
  • Welche Standards haben andere Teams in der Unternehmung?
  • Und ist das Gesamtpaket stimmig?
  • Sind Sie am richtigen Ort mit Ihren Fähigkeiten?

Bis bald! Bleiben Sie aufmerksam und neugierig.