In der Baubranche herrscht Goldgräber-Stimmung. Die fortschreitende Digitalisierung zeichnet die kommenden Zeiten in den prächtigsten Farben und verspricht eine bessere Zukunft.

Vor allem die Projektabwicklung mittels des sogenannten Building Information Modeling (BIM) sichert den Bauherren grössere Kosten- und Terminsicherheiten als bisher zu. Ausserdem verspricht es zuverlässige Datensätze für den subsequenten Unterhalt und somit die Werterhaltung der eigenen Immobilien resp. der Investitionsobjekte. Auf Seiten der Bauunternehmen locken Effizienzsteigerungen dank dem verbesserten Planungsstand bei Projektstart und dem verminderten Aufwand im Nachtragsmanagement während der Bauphase.

Soweit die Versprechungen und Visionen der IT-Industrie. Aber wie sieht es tatsächlich für die Betroffenen im realen Leben aus? Wie wirkt sich die „neue“ Technologie auf die Zusammenarbeit der einzelnen Stakeholder aus? Welche Verbesserungen sind bisher ersichtlich und machen Mut für die weiteren Schritte?

Einige können sich vielleicht noch erinnern: Schon mit der Einführung des Internet 1.0 wurde eine vereinfachte Kommunikation versprochen. Dank den damals revolutionären E-Mails wurde der Informationsfluss extrem beschleunigt und das gleichzeitige Versenden von Nachrichten an mehrere Teilnehmer versprach eine bessere, da transparentere, Abwicklung der Projekte. Doch leider kam es ganz anders. An die Stelle der nützlichen Information tritt sehr schnell der Teflon-Manager, der eigene Versäumnisse elegant (vornehmlich in den späten Nachtstunden) weiter zu delegieren versucht, um so die eigene Karriere zu schützen. Mittels cc- und bcc-Exzessen werden alle möglichen und unmöglichen Beteiligten zugemüllt und mittlerweile sehen sich Grosskonzerne genötigt, ihre Server nachts und an den Wochenenden vom Netz zu nehmen um zu verhindern, dass ihre Mitarbeitenden von der ununterbrochenen Nachrichtenflut gesundheitlich gefährdet werden.

Und jetzt steht mit BIM der nächste, noch grössere Schritt bevor. Die Investitionen gehen in die Millionen. Es entstehen neue Berufsfelder und auf den Baustellen trifft man bald mehr Informatiker als Handwerker an. Andere Branchen (Pharma, Bioengineering, etc.) nutzen solche Investitionen zur Begründung ihrer Preiserhöhungen. Wieso sich in der Baubranche dieses Muster in sein Gegenteil verkehrt, indem die Preise weiter sinken, sich bestenfalls seitwärts bewegen, bleibt ein Rätsel.

Hat sich denn wenigstens die Zusammenarbeit im Projekt verbessert? Auch hier muss leider festgestellt werden, dass sich weder der fachliche noch der menschliche Beitrag der Planer zum Projekterfolg in irgendeiner Weise zum Positiven entwickelt.

Der Planer startet mit einem unfertigen Modell (unter dem Vorwand der rollenden Planung …) und stellt sich auf den Standpunkt, dass der Unternehmer alle Informationen dort selbständig finden kann. Seine Bringschuld sieht er damit erfüllt und erachtet auch eine persönliche Anwesenheit vor Ort als nicht mehr erforderlich. Allfällige Probleme werden auf einer gemeinsamen Cloud-basierten Plattform abgehandelt. Dies erfordert inzwischen mehr Informatik-Kenntnisse als bauspezifische Erfahrungen. Nur so sind die „geplanten“ Bauschäden in den gewünschten Anschlussdetails und die erodierende Qualität der Planunterlagen zu erklären. Ganz unabhängig, ob in Papierform oder im digitalen Modell.

Die Bauherrschaft besteht nach wie vor (und gemäss Gesetzestext auch zu Recht) auf einer Dokumentation in Papierform und weiss zum heutigen Zeitpunkt noch nicht wirklich, wie sie die vorhandenen Daten aus der elektronischen Projektdokumentation für ihren Betriebsunterhalt und die Wertsicherung verwenden soll. Im Projektverlauf wird den meisten Bauherren zwar schmerzlich bewusst, dass der Planer die versprochenen Fähigkeiten weder in bautechnischer, noch in (digital-) prozessorientierter Hinsicht erfüllen kann. Aber ein Entzug des Auftrages würde in diesem Falle den Schaden nur noch vergrössern.

Der Bund will zwar ab dem Jahr 2025 seine Bauprojekte nur noch mittels BIM abwickeln. Doch momentan ist es ihm noch gesetzlich verboten, Aussenstehende auf seine Projektplattformen zugreifen zu lassen. Was aber der eigentliche Sinn dieser Projektmethode wäre … Die Schildbürger von Seldwyla lassen grüssen.

Und in der Mitte zwischen diesen zwei Exponenten steht der Bauunternehmer, der in der momentanen Situation gezwungen ist, zweigleisig zu fahren. Er führt eine hybride Projektdokumentation um alle Ansprüche zu erfüllen. Er investiert in neue Technologien und schult seine Mitarbeiter (oder stellt zusätzliche mit dem entsprechenden Know-how ein). Die Mitarbeiter vor Ort übernehmen zunehmend die Aufgaben der abwesenden Planer / Bauleiter und geraten so immer mehr in die Verantwortung für eine „Planung“, die nicht in ihr Aufgabengebiet gehört. Und wiederum: Die verlangten und bezahlten Preise für diese zusätzlichen Dienstleistungen sinken weiter. Wie lange sich vor diesem Hintergrund noch Nachwuchskräfte für eine Ausbildung in der Baubranche, ganz abgesehen von einer Kaderlaufbahn, finden lassen, ist mehr als fraglich.

Momentan sind alle noch begeistert von den farbigen 3-D-Modellen, die man am Bildschirm in alle Richtungen drehen kann. Und den spektakulären Fotos, die während den Drohnenflügen gemacht werden. Die Erfahrungen aus der ersten „digitalen Welle“ in der nicht allzu fernen Vergangenheit, scheinen niemanden zur Zurückhaltung zu veranlassen, im Gegenteil. Den (vermeintlichen) digitalen Möglichkeiten wird blind vertraut.

Auch auf die Gefahr hin, als veralteter Pessimist abgestempelt zu werden: Ist die IT nicht längst zu einem Selbstzweck geworden? Wo ist der versprochene Mehrwert und der Zeitgewinn hingekommen, wenn wieder einmal der Server nicht erreichbar ist oder ein Update den Computer im dümmsten Moment ungefragt herunterfährt? Wie lange können wir noch funktionieren, wenn der zuständige IT-Support unerwartet ausfällt? Haben wir die Risiken der Cloud-Technologie wirklich im Griff? Wer garantiert uns, dass wir auch morgen noch (kostenlosen) Zugriff auf die Daten haben werden? Und wie anfällig sind diese Daten für eine Beeinflussung durch die Projektbeteiligten, wenn schon ganze Wahlergebnisse in anderen Staaten manipuliert werden können? (Siehe die Bemerkung oben zum Teflon Manager!)

Alle diese Fragen werden von der IT-Industrie natürlich beschwichtigend als gelöst bezeichnet. Ich frage mich nur, wieviel Vertrauen sich eine Branche verdient hat, die erwiesenermassen mit sogenannten Beta-Versionen auf die Kunden losgeht und erst aufgrund der auftretenden Probleme ihr Produkt nachbessert? Dieser Mindset ist dem Baugewerbe doch um 180° entgegengesetzt. Hier wird von der Bauherrschaft ein qualitativ einwandfreies Ergebnis verlangt. Und es ist im Eigeninteresse des Bauunternehmers, dass dies auch im ersten Anlauf gelingt.

Ich denke, dass das durch die IT-Industrie provozierte (und gehypte) straffe Tempo ein ungesundes Ausmass angenommen hat. Möglicherweise werden die „Fast Follower“ überproportional von den Fehlern der „First Mover“ profitieren und die heute eingesparten Investitionen profitabler einsetzen, so dass sie am Ende die Gewinner sind.

Wir müssen zu einem Dialog auf Augenhöhe zurückkehren. Die Daseinsberechtigung einer Bauunternehmung bleibt, wie der Name schon sagt, das Bauen. Die Wertschöpfung wird auch in Zukunft auf der Baustelle in Form von handwerklichen Tätigkeiten stattfinden. Die ganze BIM-Technologie ist und bleibt ein Unterstützungsprozess. Momentan scheint mir zu oft der Schwanz mit dem Hund zu wedeln. Diesen Zustand sollten wir selbstkritisch hinterfragen.