Können Sie sich an ein erfolgreiches Change-Projekt in Ihrer Organisation erinnern? Falls ja, ist das die berühmte Ausnahme von der Regel. Denn, je nach Quelle, scheitern 60 bis 80% der Versuche. Und jeder erfolglose Anlauf macht es schwieriger, beim nächsten Mal die Restrukturierung oder den neuen Prozess erfolgreich zu implementieren.

Weshalb ist es so schwierig, eine Veränderung in einer Organisation durchzuführen?

Ein möglicher Grund dafür könnte der blinde Fleck vieler Führungskräfte sein, die den Emotionen der betroffenen Mitarbeitenden während des Veränderungsprojektes keine Aufmerksamkeit schenken.

Im frühen 20. Jahrhundert postulierte der Behaviorismus nur die beobachtbaren Phänomene als legitime Forschungsgegenstände und negierte damit sämtliche Emotionen. Erst mit der „kognitiven Wende“ in den 1960er Jahren rückte die Introspektion von Gefühlen und Wahrnehmungen wieder ins Blickfeld der Forschung. Und spätestens seit den Arbeiten von Magda Arnold und Richard S. Lazarus wissen wir es besser.

Umso erstaunlicher ist es, dass diese wissenschaftlich belegten Grundlagen in der Praxis konsequent ignoriert werden. Oder sind unsere Führungskräfte auf diesem Gebiet einfach nicht auf dem neusten Stand der Forschung?

Was muss man wissen, um eine gute Entscheidung treffen zu können, ob eine Organisation in einem Veränderungsprozess möglicherweise externe Hilfe benötigt?

 

Emotionen

Emotionen entstehen nach übereinstimmender Meinung verschiedener Wissenschaftler aus dem Zusammenspiel mehrerer Elemente. Es sind dies:

  • Subjektives Erleben,
  • physiologische Elemente, d. h. neuronale und hormonelle Reaktionen,
  • Verhaltenselemente und
  • kognitive Auffassungen.

Die kognitiven Bewertungstheorien gehen davon aus, dass bestimmte Elemente zu situativ unterschiedlichen Emotionen führen:

  • Je stärker das Ereignis die eigene Person betrifft, umso stärker fällt die Emotion aus (Zielvarianz).
  • Hat das Ereignis einen positiven Einfluss auf die persönlichen Ziele der empfindenden Person, wird die ausgelöste Emotion positiv sein. Hat das Ereignis einen negativen Einfluss auf die persönlichen Ziele der empfindenden Person, wird die ausgelöste Emotion negativ sein (Zielkongruenz).
  • Je nach Einschätzung der persönlichen Verantwortlichkeit und der Kontrollierbarkeit der Ereignisse durch die empfindende Person entstehen unterschiedliche Emotionen (Attribution).

Rothermund & Eder (2011) haben es treffend formuliert: Wenn sich die Bedeutung der Situation für die empfindende Person verändert, verändert sich die emotionale Reaktion.

Dies führt uns zu folgendem Schluss: Wenn die individuelle Einschätzung einer Situation bekannt ist, kann die entsprechende Emotion, die daraus folgt, mit hoher Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden (Rothermund & Eder, 2011).

Ulich & Mayring haben 2003 ein System entwickelt, dass 18 unterschiedliche Emotionen in vier Gruppen einteilt: Zuneigungs-, Abneigungs-, Wohlbefindungs- und Unbehagensgefühle.

1. Zuneigungsgefühle 1. Liebe, Sympathie, Bindungsgefühl
2. Stolz, Selbstwertgefühl
2. Abneigungsgefühle 3. Überraschung, Schreck
4. Ekel, Abscheu
5. Ärger, Wut, Zorn
6. Angst, Furcht
7. Eifersucht
8. Neid
3. Wohlbefindungsgefühle 9. Lustgefühl, Genusserleben
10. Freude
11. Zufriedenheit
12. Glück
4. Unbehagensgefühle 13. Niedergeschlagenheit, Trauer, Kummer
14. Scham
15. Schuldgefühl
16. Langeweile, Müdigkeit, Leere
17. Anspannung, Nervosität, Unruhe, Stress
18. Einsamkeitsgefühl

Diese Einteilung macht deutlich, dass sowohl positive Gefühle als auch wenig hilfreiche Emotionen im Umfeld eines Veränderungsprozesses auftreten. Auch wenn eine solch verallgemeinernde Klassifizierung nicht unproblematisch ist, ist der Versuch der Kategorisierung doch hilfreich. Unbestritten ist die Tatsache, dass diese individuellen Gefühle das Verhalten der Mitarbeitenden in Organisationen während Veränderungsprozessen stark beeinflusst.

Krüger (2014) belegt, dass die Wandlungsbereitschaft der betroffenen Belegschaft von deren Emotionen abhängt. Dies unterstützt auch die Forschungsarbeit von Klose (2009), der eine spezifische Ansprache der Einzelemotion verlangt. Er warnt ausdrücklich vor der pauschalen Abhandlung dieses Themas im Rahmen von Change-Projekten.

Krüger unterscheidet auch Gewinner und Verlierer bei den Beteiligten, je nachdem, ob sich deren Emotionen im Verlauf des Veränderungsprozesses positiv oder negativ entwickeln (Krüger, 2014b).

Wichtig erscheint mir auch die Aussage von Schein (2010), dass Gefühle oft gar nicht bemerkt, verleugnet oder gar übersprungen werden, um sofort zu (ver-)urteilen und zu handeln. Dies führe dazu, dass gerade in solchen Situationen spontan gehandelt und sich dann eingeredet werde, dass man rein rational reagiere. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Sie haben es längst erkannt: Das Adressieren und die Arbeit mit Emotionen kann sehr aufwendig werden. Und nicht nur die mangelnde Qualifikation, sondern auch der allgegenwärtige Zeitdruck, wird gerne als Entschuldigung/Begründung für ein abgekürztes Verfahren angebracht.

Wenn wir uns aber vergegenwärtigen, dass Emotionen ein wichtiger Vorreiter für Motivationsprozesse sind, sollten wir uns doch am Anfang etwas Zeit für dieses Thema nehmen.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit sollte nicht das Vermeiden von negativen Gefühlen oder das Fördern positiver Gefühle stehen, sondern das situative Ausbalancieren der individuellen Emotionen (Krone, 2003).

Der Motivation ist der zweite Teil dieser kleinen Reihe gewidmet.

 

Bis dahin beobachten Sie doch einmal, wenn Sie Lust haben, die aufkommenden Emotionen in Ihrem beruflichen Umfeld.

Zum Beispiel bei der nächsten angekündigten Reorganisationsoffensive aus der Geschäftsleitung …